Die gesamtschuldnerische Haftung im Bauwesen ist ein Thema von hoher Relevanz für Ingenieure, Architekten und Projektsteuerer. Insbesondere die Frage, inwieweit Projektsteuerer im Rahmen von Baumängeln in eine gesamtschuldnerische Haftung einbezogen werden können, wirft komplexe juristische und praktische Fragestellungen auf.
Grundlagen der gesamtschuldnerischen Haftung im Bauwesen
Gemäß § 421 BGB entsteht eine Gesamtschuld, wenn mehrere Beteiligte einem Gläubiger gegenüber für denselben Schaden einstehen müssen. Im Baukontext betrifft dies häufig Architekten, Ingenieure und Bauunternehmen, die bei der Errichtung oder Überwachung eines Bauwerks gemeinsam zur Verantwortung gezogen werden können. Der Bauherr kann dabei frei entscheiden, welchen der Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt. Der belastete Schuldner kann anschließend gemäß § 426 BGB Regress bei den Mitverursachern suchen – ein Prozess, der nicht nur juristisch anspruchsvoll ist, sondern auch wirtschaftliche Risiken wie das Insolvenzrisiko eines Mitbeteiligten birgt.
Rechtsprechung und neue Akzente durch den BGH
Die jüngere Rechtsprechung, insbesondere das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 01.12.2022, hat den Anwendungsbereich der gesamtschuldnerischen Haftung präzisiert. Der 7. Zivilsenat betonte, dass eine Gleichrangigkeit der Verpflichtungen eine zentrale Voraussetzung für das Bestehen einer Gesamtschuld sei. Insbesondere bei der Mängelhaftung stellte der BGH klar, dass objektbetreuende Architekten (z. B. in der Leistungsphase 9 nach HOAI) und Bauunternehmen nicht gesamtschuldnerisch haften, wenn die Pflichten des Architekten lediglich nachrangig oder subsidiär auf die Verhinderung der Verjährung von Ansprüchen gerichtet sind.
Projektsteuerung: Ein Sonderfall in der Haftungsfrage
Projektsteuerer nehmen eine besondere Rolle im Bauprozess ein. Sie koordinieren und überwachen, übernehmen jedoch in der Regel weder Planungs- noch Bauausführungsaufgaben. Daraus ergibt sich, dass sie nicht automatisch in eine gesamtschuldnerische Haftung mit Architekten oder Bauunternehmen geraten. Dennoch könnten Ausnahmen bestehen, wenn beispielsweise ein Fehler der Projektsteuerung direkt zur Entstehung eines Baumangels beiträgt und sich die Haftungsbereiche mit denen anderer Beteiligter überschneiden.
Das Urteil des BGH aus 2022 deutet darauf hin, dass für eine gesamtschuldnerische Haftung eine Gleichrangigkeit der Verpflichtungen erforderlich ist. Dies könnte die Argumentation stärken, dass Projektsteuerer, deren Aufgabenbereich sich deutlich von der Planung und Bauausführung unterscheidet, nicht in eine gesamtschuldnerische Haftung geraten sollten. Gleichzeitig bleibt die Frage offen, ob der Gesetzgeber oder zukünftige Urteile diese Abgrenzung weiter spezifizieren werden.
Praktische Auswirkungen und Handlungsempfehlungen
Für Ingenieure und Projektsteuerer ergeben sich aus der aktuellen Rechtsprechung wichtige Konsequenzen:
Zukunftsperspektive
Die Diskussion um die gesamtschuldnerische Haftung der Projektsteuerung wird durch die Rechtsprechung des BGH und die Dynamik im Bauvertragsrecht weiter an Bedeutung gewinnen. Ingenieure und Projektsteuerer sollten sich frühzeitig mit den möglichen Konsequenzen vertraut machen und ihre Arbeitsweise entsprechend ausrichten. Die Brandenburgische Ingenieurkammer steht ihren Mitgliedern dabei als kompetenter Ansprechpartner zur Seite und bietet praxisnahe Unterstützung.
Quelle: https://kurzlinks.de/eb3w