Die Frage der Haftung im Bauwesen, insbesondere für Ingenieure und Bauüberwacher, ist ein komplexes und oft streitiges Thema. Ein aktuelles Urteil des OLG Naumburg (Urteil vom 25.06.2022 - 2 U 63/18) sowie eine nachfolgende Entscheidung des BGH (Beschluss vom 25.10.2023 - VII ZR 187/22) werfen ein besonderes Licht auf die sogenannte Sekundärhaftung und deren Auswirkungen auf die Verjährung von Gewährleistungsansprüchen.
Was ist Sekundärhaftung?
Die Sekundärhaftung bezeichnet die Haftung eines Architekten oder Ingenieurs, wenn dieser nach Auftreten eines Mangels es unterlässt, dessen Ursachen systematisch und gründlich zu prüfen. Das entscheidende Kriterium hierbei ist die aktive Sachwalterrolle, die der Ingenieur oder Bauüberwacher im Rahmen seiner Überwachungsaufgaben übernimmt. Das bedeutet, dass er dem Bauherrn auch eigene Fehler offenbaren muss, damit dieser rechtzeitig seine Gewährleistungsansprüche gegen den Ingenieur oder andere am Bau Beteiligte geltend machen kann, bevor die Verjährungsfrist abläuft.
Die Rolle der Verjährung
Normalerweise können Architekten und Ingenieure sich auf die Einrede der Verjährung berufen, wenn die Gewährleistungsfrist abgelaufen ist. Doch die Sekundärhaftung macht hier eine Ausnahme. Wenn ein Bauüberwacher nachweislich Mängel erkennt, aber nicht entschlossen genug handelt, um diese zu klären und den Bauherrn aufzuklären, ist der Architekt oder Ingenieur für die daraus entstehenden Schäden verantwortlich – selbst wenn die ursprüngliche Gewährleistungsfrist verstrichen ist.
Im konkreten Fall hat das OLG Naumburg entschieden, dass der Ingenieur in seiner Rolle als Bauüberwacher nicht sekundärhaftbar gemacht werden kann, da der Auftraggeber es nicht geschafft hat, hinreichend darzulegen, dass der Ingenieur seine Pflichten vernachlässigt hat. Dieses Urteil zeigt, dass Auftraggeber klar beweisen müssen, dass der Bauüberwacher eine solche Pflichtverletzung begangen hat.
Konsequenzen für Ingenieure und Bauüberwacher
Die Entscheidung verdeutlicht, wie wichtig eine sorgfältige Dokumentation und Prüfung von Mängeln ist. Auch wenn die Sekundärhaftung nicht in jedem Fall greift, sind Ingenieure und Bauüberwacher gut beraten, im Falle eines Mangels sofortige und gründliche Maßnahmen zu ergreifen, um sowohl Mängelursachen zu identifizieren als auch die notwendigen Schritte zur Behebung zu kommunizieren.
Besonders heikel wird es, wenn der Bauüberwacher oder Ingenieur Fehler in der eigenen Planung oder Überwachung feststellt. Hier muss er, um nicht in die Falle der Sekundärhaftung zu geraten, den Bauherrn rechtzeitig informieren und Lösungswege aufzeigen.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Die Grundlage für die Beurteilung der Sekundärhaftung findet sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB §§ 204, 214, 633, 634) sowie in der VOB/B (§ 13 Abs. 5). Diese Rechtsgrundlagen regeln die Gewährleistung und die Fristen, in denen Mängel geltend gemacht werden können. Allerdings zeigt der oben genannte Fall, dass die Anforderungen an die Darlegung und den Beweis der Sekundärhaftung hoch sind. Der Auftraggeber muss genau aufzeigen können, wie der Bauüberwacher seiner Pflicht zur Ursachenklärung nicht nachgekommen ist.
Praxistipps für Ingenieure und Bauüberwacher
Die Sekundärhaftung ist ein wichtiges rechtliches Instrument, das Bauherren schützt und sicherstellen soll, dass Architekten und Ingenieure ihre Pflichten ernst nehmen. Für Bauüberwacher und Ingenieure bedeutet dies jedoch eine hohe Verantwortung. Um rechtliche Risiken zu minimieren, ist es entscheidend, Mängel frühzeitig zu erkennen und aktiv zu handeln. Eine klare und rechtzeitige Kommunikation mit dem Bauherrn sowie eine gründliche Dokumentation aller Schritte sind hierbei unerlässlich.
Ingenieure und Bauüberwacher, die sich dieser Pflichten bewusst sind, minimieren das Risiko, selbst bei eingetretener Verjährung noch haftbar gemacht zu werden – und können so ihre Projekte erfolgreich und rechtssicher abschließen.
Quelle: https://kurzlinks.de/gc97