Der Gebäudetyp-e soll der Überregulierung Einhalt gebieten. Die Idee: Planende und institutionelle Bauherren sollen sich ohne Haftungsrisiko darauf einigen können, die Schutzziele der Bauordnungen zu wahren – nicht mehr und nicht weniger. Rechtlich wirft das einige Fragen auf.
Gemeinsam mit Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann, BAK-Präsidentin Andrea Gebhard und BIngK-Präsident Dr. Heinrich Bökamp sprach die Chefredakteurin des Deutschen Architektenblatts, Dr. Brigitte Schultz, im Interview über die Einschätzungen von Politik und Berufsstand.
Brigitte Schultz: Sehr geehrter Herr Bundesminister, liebe Frau Gebhard, lieber Herr Bökamp: Der Gebäudetyp-e stößt in Politik und den Medien auf großes Interesse. In mehreren Bundesländern wird daran gearbeitet, in den Bauordnungen Abweichungen von technischen Baubestimmungen zu erleichtern. Liebe Frau Gebhard: Ist dies aus Sicht von Bundesarchitekten- und Bundesingenieurkammer nicht schon ein wichtiger Fortschritt?
Andrea Gebhard: Auf jeden Fall, wobei wir darauf hinwirken müssen, dass die Bauordnungen auch in diesem Bereich möglichst einheitlich werden. Gerade aber auch jenseits des Bauordnungsrechts gibt es viele weitere Normen und Regeln, die ebenfalls zu den sogenannten anerkannten Regeln der Technik gehören können. Viele dieser Standards tragen zur Verteuerung des Bauens bei und verhindern dringend notwendige Innovationen im Sinne des nachhaltigeren und experimentellen Bauens.
Marco Buschmann: Diese Einschätzung teile ich. Das Normenwesen ist an sich eine gute Sache, aber es scheint doch auch überbordende Entwicklungen zu geben. Das müssen wir uns ansehen.
Lieber Herr Bökamp, BAK und BIngK haben sich in diesem Zusammenhang in einem gemeinsamen Schreiben an das Bundesjustizministerium gewandt. Wieso?
Heinrich Bökamp: Uns wurde von Anfang an von verschiedenen Seiten, auch aus der Richterschaft, signalisiert, dass das Zivilrecht einer praktischen Durchsetzung des Gebäudetyps-e entgegenstehen würde. Andere bestreiten das.
Sehr geehrter Herr Buschmann, wie stehen Sie zu der Idee, mit weniger Normen und Regeln zu planen und zu bauen?
Buschmann: Ich unterstütze den mit dem Gebäudetyp-e verbundenen Ansatz. Als Bundesministerium der Justiz wollen wir bürokratische Hürden abbauen und Verfahren vereinfachen. Und Sie haben es schon angesprochen: Auch die Länder sind dabei, das Bauordnungsrecht zu liberalisieren. Damit das möglichst einheitlich geschieht, wird mit Unterstützung des Bundesbauministeriums an einer Änderung der Musterbauordnung gearbeitet. Zugleich gibt es Gespräche mit dem DIN als maßgeblichem Normgeber, wie bei Normen stärker zwischen sicherheitstechnisch notwendigen Regelungen und zusätzlichen Komfortstandards unterschieden werden kann.
Und wie schätzen Sie als Bundesjustizminister die Thematik aus zivilrechtlicher Sicht ein? Gibt es schon konkrete Überlegungen?
Buschmann: Wir müssen beleuchten, ob es gesetzgeberischer Maßnahmen bedarf oder ob die von Ihnen angesprochenen Herausforderungen nicht auf anderer Ebene gelöst werden müssten. Daher möchten wir hierzu die Einschätzung möglichst vieler Beteiligter hören. Ich bin dem Bauministerium dankbar, dass es im Rahmen des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum eine Arbeitsgruppe eingerichtet hat, in der wir mit Ihnen, also den Planerinnen und Planern, aber ebenso mit der Bauherrenseite und den ausführenden Unternehmen offen reden: Wo liegt der Hase wirklich im Pfeffer?
Der Deutsche Baugerichtstag hat Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, dem BGB, immerhin empfohlen.
Buschmann: Der achte Deutsche Baugerichtstag hat angesichts der Rechts- und Verwaltungspraxis empfohlen, dass die Voraussetzungen für eine abweichende Regelung gesetzlich geregelt werden. Zum vollständigen Bild zählt aber auch: Der Baugerichtstag hat ebenso festgehalten, dass es den Vertragsparteien bereits jetzt freisteht, von den allgemein anerkannten Regeln der Technik nach unten abzuweichen, sofern es sich nicht um einen rechtlich zwingenden Standard handelt. Prinzipiell kann man daher auch ohne Änderung des BGB schon heute mit weniger Normen und Standards planen und bauen – solange sich die Vertragsparteien darüber einig sind.
Herr Bökamp, bliebe dann nicht letztlich alles beim Alten?
Bökamp: Ich denke, ja. Wenn der Deutsche Baugerichtstag für seine Empfehlung auf die Rechts- und Vertragspraxis abstellt, hat das ja seinen guten Grund. Man kann zwar theoretisch Abweichungen mit dem Bauherrn vereinbaren, aber die Anforderungen an die Hinweis- und Aufklärungspflichten des Planenden sind so streng, dass kaum jemand das Risiko eingehen wird. Dies lässt sich auch nicht durch Musterverträge, die der AGB-Kontrolle unterliegen, regeln. Deshalb ja unser Appell: Der Rechtsrahmen für Fragen der Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik und den daraus entstehenden Rechtsproblemen sollte nicht der Rechtsprechung überlassen bleiben, sondern vom Gesetzgeber so weit wie möglich festgelegt werden.
Sehen Sie das auch so, Frau Gebhard?
Gebhard: Absolut. Die Haftungsgefahren sind einfach zu hoch und letztlich nicht kalkulierbar. Und die Berufshaftpflichtversicherungen gewähren in solchen Fällen im Zweifel auch keinen Versicherungsschutz.
Buschmann: Wir müssen sehen, dass wir es nicht nur mit dem Verhältnis Planer – Bauherr zu tun haben, sondern auch mit den bauausführenden Unternehmen, vor allen Dingen aber auch mit potenziellen Mietern und Käufern des Objekts. Insoweit könnten Minderungsansprüche wegen Mängeln an Eigentums- oder Mietobjekten eine Rolle spielen. Das muss man sich genau anschauen und bei der Bestimmung der Bauqualitäten, beispielsweise der einzubauenden Trittschalldämmung, im Blick haben. Unabhängig davon muss letztlich der Bauherr bestimmen, ob und inwieweit er bei seinem Bauwerk von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abweichen möchte.
Ich würde mich in diesem Gespräch trotzdem auf das Verhältnis Planer – Bauherr konzentrieren wollen. Angenommen, der Bauherr möchte weniger Normen und Regeln: Wie könnte denn das Risiko des Planers begrenzt werden, später trotzdem in Anspruch genommen zu werden?
Buschmann: Umfang und Ausmaß der von Ihnen richtigerweise angesprochenen Hinweis- und Aufklärungspflichten hängen vom jeweiligen Einzelfall ab – insbesondere auch davon, welches Wissen der Bauherr selbst mitbringt. Bei Verbraucherbauherren wird der Planende erhebliche Informations- und auch Dokumentationspflichten haben. Anders sieht es bei Bauherren aus, bei denen Bauen quasi das Geschäftsmodell ausmacht, insbesondere öffentliche, genossenschaftliche und private Wohnungsbauunternehmen. Hier sind die Aufklärungspflichten des Planers wesentlich geringer oder bestehen gar nicht, wenn zum Beispiel der Bauherr selbst eine Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik vorgibt.
Bökamp: Sie spielen auf ein Urteil des OLG Stuttgart aus dem Jahr 2011 an. Aber ist nicht gerade dieses Urteil das beste Beispiel für gesetzlichen Regelungsbedarf? Der Planer hat den Prozess zwar letztlich gewonnen, aber offenbar rechnete sich der klagende Bauherr gewisse Chancen aus. Und das Gericht hat in langen Ausführungen darlegen müssen, weshalb in diesem speziellen Einzelfall eine Haftung des Planers ausnahmsweise nicht infrage kommt. Niemand weiß, ob ein anderes Gericht nicht gegebenenfalls anders entschieden hätte.
Buschmann: Die Gerichte treffen ihre Entscheidungen auf Basis des jeweils konkreten Falles. Der Umfang oder die Grenzen von Hinweis- und Aufklärungspflichten des Planers lassen sich jedenfalls nicht gesetzgeberisch pauschal festlegen.
Gebhard: Das ist das Problem. Und deshalb sollte das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt werden. Hinter dem als Gebäudetyp-e bezeichneten Planungsansatz steht als Idealform nämlich gar nicht die Idee, einzelne Abweichungen von allgemein anerkannten Regeln der Technik nach unten zu vereinbaren. Vielmehr sollte von vornherein nur das geschuldet sein, was zwingend erforderlich ist, um das Bauordnungsrecht und andere gesetzliche Vorgaben einzuhalten. Mit anderen Worten: Alles, was darüber hinausgeht, vor allen Dingen an Komfortstandards, muss ausdrücklich vereinbart werden. Das kann und sollte natürlich nur bei professionellen Bauherren gelten.
Bökamp: Vor ein paar Jahren hat die Baukostensenkungskommission über das BBSR ein Gutachten erstellen lassen, in dem im Grunde genommen schon die Fragen untersucht wurden, mit denen wir uns heute unter dem Stichwort Gebäudetyp-e beschäftigen. Darin wird an einer Stelle genau der von Andrea Gebhard angesprochene Ansatz in die Diskussion gebracht. Es heißt dort: „Sollte der Gesetzgeber das Ziel anstreben, dass auch zivilrechtlich regelmäßig nur der Mindeststandard der Technischen Baubestimmungen geschuldet wird, falls nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt wird, müsste dies durch eine entsprechende Änderung des Zivilrechts (BGB) vollzogen werden.“ In dem gerade reformierten Bauvertragsrecht hat dieser Gesichtspunkt allerdings keine Rolle gespielt, weshalb genau dies jetzt nochmals juristisch aufgearbeitet werden sollte.
Herr Buschmann, wäre es nicht vielleicht an der Zeit, diesen Ansatz jetzt aufzugreifen?
Buschmann: Das ist durchaus ein interessanter Ansatz. Klar ist: Für eine solche Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses müsste das BGB geändert werden. Wir sind uns alle einig, dass Planen und Bauen einfacher, kostengünstiger und innovativer werden müssen. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher, aber natürlich vor allem auch politischer Auftrag. Deshalb stehe ich bei den laufenden Arbeitsgesprächen zwischen meinem Ministerium, dem Bauministerium und der Bundesarchitekten- und Bundesingenieurkammer einer möglichen zivilrechtlichen Flankierung für den Gebäudetyp-e offen gegenüber.
(Dieser Artikel erscheint in gleicher Form unter der Titelzeile „Wo liegt der Hase wirklich im Pfeffer“ in der Oktober-Ausgabe 2023 des Deutschen Architektenblatts)